Zwischen Windeln und Karriere: Wie ich mein berufliches Ich wiederfand
Der Wiedereinstieg in den Beruf nach der Elternzeit ist wie ein Spagat zwischen zwei Welten. Meine Geschichte vom Verlieren und Wiederfinden meiner beruflichen Identität – ehrlich, holprig und voller Learnings.
Der Moment, als ich mich selbst verlor
Es war ein ganz normaler Dienstagnachmittag. Ich saß auf dem Spielplatz, den dritten Kaffee in der Hand (kalt natürlich), und hörte einer anderen Mutter zu, die begeistert von ihrem neuen Projekt bei der Arbeit erzählte. Und plötzlich traf es mich wie ein Schlag: Wer war ich eigentlich noch, außer „Mama von Emma»?
Vor der Geburt hatte ich eine klare Identität. Ich war Projektmanagerin, hatte ein Team, Deadlines, Erfolge. Ich trug Blazer statt Milchflecken. Meine Gespräche drehten sich um Quartalszahlen, nicht um Beikost und Schlafrhythmen.
Jetzt, zehn Monate in der Elternzeit, erkannte ich mich kaum wieder. Und das Schlimmste? Ich wusste nicht, ob ich zurück wollte – oder ob ich überhaupt noch konnte.
Die Angst vor dem Wiedereinstieg
Je näher das Ende meiner Elternzeit rückte, desto größer wurde die Panik. Die Gedanken kreisten nachts im Kopf:
Habe ich alles verlernt? Die Branche entwickelt sich so schnell weiter – bin ich noch relevant? Wie soll ich das alles schaffen – Kind, Job, Haushalt? Was, wenn ich meinem Kind damit schade? Was, wenn ich im Job nicht mehr mithalten kann?
Die Gesellschaft machte es nicht besser. Von allen Seiten kamen gut gemeinte (und weniger gut gemeinte) Kommentare:
- „Ach, du gehst schon nach einem Jahr zurück? Das arme Kind!»
- „Bleibst du wirklich zwei Jahre zu Hause? Da verpasst du aber viel im Job!»
- „Du arbeitst Vollzeit? Wie schaffst du das nur?»
- „Nur Teilzeit? Dann wird das nichts mehr mit der Karriere.»
Man kann es niemandem recht machen. Also musste ich lernen, es mir selbst recht zu machen.
Der holprige Start: Realität schlägt Planung
Mein Wiedereinstieg war akribisch geplant. Ich hatte alles durchdacht: Kinderbetreuung organisiert, Kleidung gekauft, die noch passte (haha), mentale Vorbereitung. Was sollte schon schiefgehen?
Alles. Alles konnte schiefgehen.
Die ersten Wochen
Woche 1: Emma weinte jeden Morgen in der Kita. Ich weinte im Auto. Dann wieder am Schreibtisch. Meine Kollegin fragte besorgt, ob alles okay sei. „Ja, alles super!», log ich und vergrub mich hinter meinem Laptop.
Woche 2: Emma bekam den ersten Kita-Infekt. Ich musste nach zwei Stunden wieder nach Hause. Das wichtige Meeting? Verpasst. Das Gefühl, das Team im Stich zu lassen? Überwältigend.
Woche 3: Ich fühlte mich wie eine Hochstaplerin. Alle sprachen von Projekten, an denen ich nicht beteiligt war. Neue Software, neue Prozesse, neue Kollegen. Ich nickte und lächelte, aber innerlich dachte ich: „Ich gehöre nicht mehr hierher.»
Der Mama-Stempel
Das erste Teammeeting war ein Schock. Als ein neues Projekt besprochen wurde – mit Reisen, längeren Arbeitstagen – schauten alle kurz zu mir, dann weg. Niemand fragte mich, ob ich dabei sein wollte. Man hatte einfach angenommen, dass ich als Mutter nicht verfügbar sei.
Ich war wütend. Und gleichzeitig erleichtert. Und dann wieder wütend über die Erleichterung.
Die Wendepunkte: Wie ich mein berufliches Ich zurückeroberte
1. Ich hörte auf, mich zu entschuldigen
„Tut mir leid, ich muss pünktlich gehen, wegen der Kita-Abholzeit.» „Entschuldigung, dass ich letzte Woche krank war – meine Tochter hatte Fieber.» „Sorry, dass ich nicht zum After-Work kommen kann.»
Eines Tages sagte meine Chefin zu mir: „Hör auf, dich ständig zu entschuldigen. Du machst deine Arbeit gut. Punkt.»
Das saß. Ich entschuldigte mich für meine Lebensrealität, während männliche Kollegen selbstverständlich um 17 Uhr gingen („Fußballtraining mit meinem Sohn») – ohne auch nur einen Hauch von Rechtfertigung.
Also hörte ich auf. Statt „Sorry, ich muss gehen» sagte ich: „Ich mache morgen früh weiter.» Radikal, oder?
2. Ich definierte Erfolg neu
Vor der Geburt bedeutete Erfolg: Beförderung, mehr Verantwortung, sichtbare Leistung, lange Arbeitstage.
Jetzt bedeutete Erfolg: Meine Deadlines einhalten UND mein Kind abends ins Bett bringen. Ein Projekt erfolgreich abschließen UND beim Laternenfest dabei sein. Produktiv arbeiten UND nicht ständig mit schlechtem Gewissen herumlaufen.
Ich musste akzeptieren, dass meine Karriere jetzt anders aussehen würde. Nicht schlechter. Nicht weniger wert. Einfach anders.
3. Ich kommunizierte meine Grenzen klar
Ein Gespräch mit meiner Vorgesetzten veränderte alles:
„Ich bin an diesem Projekt interessiert. Ich kann Dienstag und Donnerstag bis 18 Uhr bleiben, wenn nötig. Montag, Mittwoch und Freitag muss ich um 16:30 Uhr gehen. Reisen sind mit vier Wochen Vorlauf möglich, wenn mein Partner es einrichten kann. Ich bin flexibel bei Lösungen, aber das sind meine Rahmenbedingungen.»
Statt abzuwarten und zu hoffen, dass man meine Situation „versteht», nahm ich das Heft in die Hand. Und wisst ihr was? Es funktionierte. Nicht perfekt, nicht immer, aber viel besser als mein vorheriges Versteckspiel.
4. Ich baute mir ein Netzwerk auf
Das Karriere-Netzwerk von früher – die Afterwork-Drinks, die informellen Gespräche beim Mittagessen – war für mich nicht mehr zugänglich. Also suchte ich nach Alternativen:
- Lunch-Meetings statt Feierabend-Drinks: Ich lud Kollegen gezielt zum Mittagessen ein, um am Ball zu bleiben
- Online-Netzwerke: LinkedIn wurde mein bester Freund. Ich konnte mich vernetzen, wann es mir passte – auch um 22 Uhr nach dem Zubettbringen
- Mama-Netzwerke in meiner Branche: Es gab tatsächlich andere Projektmanagerinnen mit Kindern! Wir tauschten uns aus, unterstützten uns, empfahlen uns gegenseitig
5. Ich akzeptierte Hilfe (endlich!)
Lange dachte ich, ich müsste alles alleine schaffen. Karriere, Kind, Haushalt – andere schaffen das doch auch!
Spoiler: Nein, schaffen sie nicht. Zumindest nicht ohne Unterstützung.
Wir holten uns eine Putzfrau (beste Investition ever). Mein Partner übernahm bewusst die komplette Morgenroutine, damit ich früher ins Büro konnte. Meine Eltern sprangen an Tagen mit wichtigen Meetings ein. Und ich lernte, „Ja, danke!» zu sagen, statt „Ach, das schaffe ich schon selbst.»
6. Ich investierte in mich
Während der Elternzeit fühlte ich mich abgehängt. Also tat ich etwas dagegen:
- Ich besuchte Online-Weiterbildungen (abends, wenn Emma schlief)
- Ich las Fachzeitschriften (in der Bahn, auf dem Spielplatz)
- Ich meldete mich für ein Mentoring-Programm an
- Ich nahm an virtuellen Konferenzen teil
Es waren kleine Schritte, aber sie gaben mir das Gefühl zurück, dass ich noch wuchs, noch lernte, noch relevant war.
Die unbequeme Wahrheit: Es ist nicht einfach
Ich könnte jetzt schreiben, dass alles perfekt ist. Dass ich die Balance gefunden habe, dass Karriere und Kind harmonisch nebeneinander existieren.
Aber das wäre gelogen.
Die Wahrheit ist: Es ist verdammt hart. Es gibt Tage, an denen ich in der U-Bahn weine, weil Emma morgens „Mama bleiben!» gerufen hat. Es gibt Abende, an denen ich nach einem langen Arbeitstag nach Hause komme und einfach nur noch erschöpft bin – aber das Abendessen will gemacht, die Wäsche gefaltet, die Gute-Nacht-Geschichte vorgelesen werden.
Es gibt Momente, in denen ich mich frage, ob ich genug bin. Genug für mein Kind. Genug für meinen Job. Genug für mich selbst.
Was sich verändert hat: Die Gewinne
Aber es gibt auch die anderen Momente. Die, die alles wert machen.
Ich bin fokussierter
Früher konnte ich es mir leisten, Zeit zu vertrödeln. Jetzt habe ich klare Zeitfenster, und ich nutze sie effizient. Meetings, die früher eine Stunde dauerten, schaffe ich in 30 Minuten. Ich komme schneller auf den Punkt. Ich priorisiere gnadenlos.
Ich habe neue Kompetenzen
Organisation? Check. Multitasking? Profi. Stressresistenz? Täglich trainiert. Verhandlungsgeschick? (Habt ihr mal mit einem Dreijährigen verhandelt?) Konfliktlösung? Krisenmanagement? Alles Fähigkeiten, die ich täglich als Mutter anwende – und die im Job Gold wert sind.
Ich bin authentischer
Ich spiele keine Rolle mehr. Ich bin Mutter UND Projektmanagerin. Beides gehört zu mir. Ich erzähle im Meeting, wenn ich wenig geschlafen habe, weil Emma krank war. Ich zeige mein echtes Ich – und stelle fest, dass mich das menschlicher, nahbarer, sympathischer macht.
Ich weiß, was wirklich zählt
Früher definierte ich mich über meinen Job. Wenn ein Projekt scheiterte, war ich ein Versager. Jetzt habe ich eine breitere Perspektive. Mein Wert hängt nicht an einer einzigen Rolle. Ich bin vieles. Und das macht mich stabiler, ausgeglichener, glücklicher.
Meine Tipps für deinen Wiedereinstieg
Vor dem Wiedereinstieg
- Kommuniziere frühzeitig: Sprich mit deinem Arbeitgeber über deine Vorstellungen – Arbeitszeit, Homeoffice-Möglichkeiten, Flexibilität
- Bleib am Ball: Nutze die Elternzeit, um dich weiterzubilden, Kontakte zu pflegen
- Organisiere Betreuung mit Backup: Eine Notfall-Lösung für kranke Tage ist Gold wert
- Überdenke Perfektionsansprüche: Etwas muss wahrscheinlich zurückstecken – und das ist okay
In den ersten Monaten
- Sei geduldig mit dir: Du brauchst Zeit, um wieder reinzukommen
- Kommuniziere deine Bedürfnisse: Niemand kann Gedanken lesen
- Vernetze dich mit anderen berufstätigen Eltern: Sie verstehen, was du durchmachst
- Feiere kleine Erfolge: Erster Tag geschafft? Wichtiges Meeting gemeistert? Würdige das!
Langfristig
- Überprüfe regelmäßig: Was funktioniert? Was nicht? Sei bereit, anzupassen
- Investiere in deine Karriere: Weiterbildung, Netzwerke, Sichtbarkeit
- Definiere deine eigene Version von Erfolg: Nicht die der anderen
- Sei freundlich zu dir: Du machst das Beste, was du kannst. Und das ist genug.
Das berufliche Ich heute
Heute, drei Jahre nach meinem Wiedereinstieg, kann ich sagen: Ich habe mein berufliches Ich wiedergefunden. Es sieht anders aus als vor der Geburt, aber es ist authentischer, reifer, wertvoller.
Ich bin nicht mehr die Projektmanagerin, die bis 20 Uhr im Büro sitzt. Ich bin die Projektmanagerin, die hocheffizient arbeitet, ein Team führt, Projekte zum Erfolg bringt – und gleichzeitig beim Martinsfest dabei ist.
Ich habe gelernt, dass Karriere und Kind sich nicht ausschließen. Sie fordern mich heraus, sie zwingen mich zur Priorisierung, sie machen das Leben komplizierter. Aber sie bereichern einander auch.
Meine Karriere macht mich zu einem zufriedeneren Menschen und damit zu einer besseren Mutter. Meine Mutterschaft macht mich zu einem empathischeren, organisierteren, stärkeren Menschen und damit zu einer besseren Führungskraft.
Du schaffst das
Falls du gerade vor dem Wiedereinstieg stehst oder mittendrin kämpfst: Du bist nicht allein. Tausende Mütter gehen diesen Weg – mit all seinen Höhen und Tiefen.
Es wird nicht perfekt sein. Es wird Tage geben, an denen du alles hinschmeißen willst. Aber es wird auch Tage geben, an denen du stolz auf dich bist. An denen du merkst, wie stark du bist. An denen du spürst: Ich kann das. Ich bin beides. Ich bin genug.
Dein berufliches Ich ist nicht weg. Es wartet darauf, in einer neuen, besseren Version wiedergefunden zu werden.
Du musst dich nicht zwischen Windeln und Karriere entscheiden. Du kannst beides haben – auf deine eigene Art.

